Zustimmung trotz einiger Widerstände © APA - Austria Presse Agentur

Das EU-Parlament hat am Mittwoch in Straßburg trotz einiger Widerstände das neue EU-Lieferkettengesetz final abgesegnet. Es soll große Unternehmen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Einige österreichische Abgeordnete zeigten sich im Vorfeld sehr kritisch gegenüber dem neuen Gesetz. Nach dem Parlament muss final noch der Rat (der Mitgliedstaaten) zustimmen.

Das Lieferkettengesetz fand keine überragende Mehrheit: 374 Abgeordnete stimmten am Mittwoch für das Vorhaben, 235 dagegen. Es gab 19 Enthaltungen. Von den anwesenden österreichischen Vertretern in Straßburg lehnten die ÖVP (mit Ausnahme von Othmar Karas, der sich enthielt) und die FPÖ das Gesetz ab. Die Mandatare von SPÖ und Grünen gaben ihr Ja, die NEOS-Abgeordnete enthielt sich.

Die EU-Staaten konnten sich erst nach mehreren Anläufen im März auf einen gemeinsamen Kompromiss einigen - trotz des Widerstands einiger Länder, darunter Österreich. Allerdings wurde der Anwendungsbereich deutlich eingeschränkt. Sah die Einigung zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament noch vor, dass die Richtlinie für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern und 150 Mio. Euro Umsatz gelten soll, soll sie jetzt nur mehr ab 1.000 Mitarbeitenden und 450 Mio. Euro Umsatz gelten.

Weiters sind ein risikobasierter Ansatz und Übergangspläne vorgesehen. Als Strafen können zum Beispiel die namentliche Anprangerung oder Geldstrafen in Höhe von bis zu 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes des Unternehmens verhängt werden. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele vereinbar sind.

Das Lieferkettengesetz enthalte "große Mengen an Verboten, Geboten und Berichtspflichten", begründete ÖVP-Mandatar Lukas Mandl seine Ablehnung vor Journalisten in Straßburg. Es seien "mitnichten nur große Unternehmen betroffen, da in die Lieferkette auch kleinere und mittlere integriert" seien. Dem pflichtet FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky bei: Er spricht von "zentralistischen, dirigistischen Eingriffen in die Unternehmenspolitik, die österreichische Unternehmen hindern, am Weltmarkt teilzunehmen". Das Lieferkettengesetz lehnt er ab, weil es "Wettbewerbsvorteile für chinesische oder amerikanische Unternehmen" bringe.

"Wir stehen ganz klar hinter dem Ziel, dass Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Lieferkette eingehalten werden müssen. Grundsätzlich muss das die Aufgabe jedes Staates sein. Diese Verantwortung wird nun auf die Unternehmen abgewälzt. Dieses Lieferkettengesetz schafft vor allem eines: Bürokratie. Es besteht vor allem die große Gefahr, dass die formell von der Richtlinie erfassten Großunternehmen die Verpflichtungen auf ihre Zulieferer abwälzen und damit ein großer Teil unserer Klein- und Mittelbetriebe auch voll erfasst wird", kritisiert ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig.

EU-Parlaments Vize-Präsidentin Evelyn Regner, die das Dossier für den Sozialausschuss verhandelt hat, sagt hingegen: "Mit dem EU-Lieferkettengesetz leiten wir einen Paradigmenwechsel ein. In Zukunft müssen Unternehmen den Konsument:innen garantieren, dass Produkte unter fairen Arbeitsbedingungen und in Einklang mit Umweltschutz hergestellt werden. Wir machen klar: Unternehmen haben eine Verantwortung, so wie jede Privatperson auch."

"Gerade vor den Wahlen zum EU-Parlament im Juni ist das ein wichtiges Signal an die Bürgerinnen und Bürger der EU, dass ihre Forderungen ernst genommen werden. Die Menschen wollen, dass Menschen-, Arbeits- und Gewerkschaftsrechte nicht nur bei uns zuhause, sondern auch entlang unserer globalen Wertschöpfungsketten geschützt werden", sagt Wolfgang Katzian, Präsident von ÖGB und EGB, in einer Aussendung: "Niemand möchte Produkte erwerben, die durch Kinder- oder Zwangsarbeit entstanden sind."

"Das Lieferkettengesetz ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Wirtschaft, die allen Menschen ein gutes Leben ermöglicht - innerhalb der planetaren Grenzen. Am Jahrestag der Katastrophe von Rana Plaza haben wir nun endlich einen Schritt in Richtung mehr globaler Gerechtigkeit gesetzt", so auch Anna Leitner, Expertin für Ressourcen und Lieferketten bei GLOBAL 2000. Auch die Menschenrechtsorganisation Südwind und das Netzwerk Soziale Verantwortung begrüßen das Ja zum EU-Lieferkettengesetz und sehen darin einen wichtigen Grundstein für unternehmerische Sorgfaltspflichten und ausbeutungsfreie Lieferketten.

"Trotz mehrerer Lücken ist das neue Gesetz ein wichtiger Fortschritt für den weltweiten Schutz von Natur, Klima und Menschenrechten", sagte Teresa Gäckle vom WWF Österreich. Entscheidend für den Erfolg sei jetzt eine wirksame Umsetzung durch die nationale Politik und die erfassten großen Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle an das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens anpassen müssten. Die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar unterstützt den Appell ihrer Projektpartnerin aus Ghana, Sr. Regina Ignatia Aflah, mit einer raschen Umsetzung des EU-Gesetzes die Kinderarbeit in ihrem Land und weltweit zu beenden. Ihr offener Brief an die österreichischen Nationalratsabgeordneten kann von den Menschen in Österreich mitunterzeichnet werden.

Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer Österreich warnen vor einem "Bürokratiemonster, der durch das neue Gesetz entstehen könnte" und hoffen auf eine ressourcenschonende Umsetzung in Österreich. Dass KMU von den Pflichten ausgenommen wurden, sei "in der Praxis irrelevant", da sie als Zulieferer großer Firmen erst wieder verpflichtet würden, so die WKÖ in einer Aussendung. "Besonders für KMU sind die Bürokratie und Dokumentationspflichten schon jetzt schwer verkraftbar. Der administrative Aufwand und die Kosten für Verwaltungsvorschriften müssen bei der nationalen Umsetzung des Lieferkettengesetzes in Österreich so gering wie möglich gehalten werden", forderte Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung Rechtspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ).

Die IV sieht in der heutigen Entscheidung "eine Bedrohung für den europäischen Standort im internationalen Wettbewerb". IV-Präsident Georg Knill warnt: "Was gut gemeint ist, ist nunmehr das Gegenteil von gut gemacht. Europa verliert damit erneut an Glaubwürdigkeit." Das Gesetz "zwingt Unternehmen, sich durch einen Dschungel an Bürokratie und Vorschriften zu kämpfen, was letztendlich dem Ziel der Nachhaltigkeit entgegenwirkt und lediglich europäische Unternehmen benachteiligt".

Der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat hingegen das neue Gesetz begrüßt und versprochen auf eine Umsetzung mit möglichst wenige bürokratischem Aufwand zu achten. Insbesondere solle es nicht zu doppelten Berichtspflichten beim Übergang von der deutschen Regelung auf die Europäischen Bestimmungen kommen.