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Jürgen Leitner, Leiter des Softwareentwicklungsbereichs und Head of Development von adesso Austria © RNF

Wenn man auf Digitalisierungs-Reise geht, sollte man auch wissen, wohin. Jürgen Leitner von adesso Austria weist als "Reisebegleiter" den Weg.

Wenn man die Digitalisierungs-Reise antritt, sollte man erst wissen, womit man beginnen und wohin man gehen möchte. Mit einem prall gefüllten Rucksack an Know-how und Möglichkeiten bietet sich adesso als Begleiter auf dieser Tour an.

Jürgen Leitner leitet als Prokurist den Softwareentwicklungsbereich von adesso Austria und verantwortet als Head of Development auch maßgeblich die Projektergebnisse. Er kennt sich in der Materie aus, hat er doch selbst als Entwickler bei Unternehmen wie der Erste-Bank-Tochter Spardat oder der New-Media-Agentur diamond: dogs klein angefangen, bevor er sich auf der Karriereleiter hochgearbeitet hat. Ähnlich lief die Entwicklung von adesso selbst: Die Gruppe hat mit einem starken DACH-Fokus angefangen, streckt ihre Fühler aber im Zuge des stetigen Wachstums in Europa immer weiter in alle Himmelsrichtungen aus, etwa mit der Gründung von Landesgesellschaften in den Niederlanden, Ungarn oder Finnland. Dazu passt auch die Umfirmierung von einer AG zur europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea; SE) im Jahr 2019.

NEW BUSINESS hat mit Jürgen Leitner nicht nur über die Geschäftsentwicklung in den vergangenen, sehr besonderen 18 Monaten gesprochen, sondern auch über die Digitalisierungsbestrebungen der Unternehmen und wie adesso austria als Landesgesellschaft mit einer breit aufgestellten Gruppe im Rücken die individuellen Anforderungen seiner Kunden bestmöglich zu bedienen versteht.

Herr Leitner, im ersten Halbjahr 2021 hat adesso seine Umsätze stark gesteigert – um 31 %. Österreich wird in einer Aussendung sogar lobend ob seines „kräftigen Zuwachses“ erwähnt. Sie können zufrieden sein, oder?
Ja, die Halbjahreszahlen passen, auch gruppenweit. Wir sind stolz, dass wir in den letzten drei Jahren mit diesem Wachstum mitziehen konnten. Personell haben wir in Österreich im ersten Halbjahr um zehn Mitarbeiter zugelegt, wir sind mittlerweile 80 Köpfe. Der Umsatz hat sich laut Plan entwickelt, zwischen 20 und 30 Prozent, so wie bei der deutschen Mutter.

Haben die vergangenen 18 Monaten weniger Innovation gebracht und mehr notwendige Dinge beschleunigt? Also weniger KI & Co., sondern eher mehr Bereitstellung von Homeoffice-Möglichkeiten?
Jein. In der Branche generell wurden sicher Commodities mehr beflügelt. Für unsere Projektlandschaft habe ich nicht wahrgenommen, dass sich etwas wegen Covid geändert hätte. Außer unsere beiden erfolgreichen Applikationen für das Land Steiermark, „HIPPO“ und „ELEFANT“, vielleicht. Das waren spezielle Applikationen, die wegen Covid notwendig waren. Die konnten aber nur deswegen in dieser Art und Geschwindigkeit umgesetzt werden, weil wir bereits Partner des Landes Steiermark waren und die Systeme kannten. Ein anderer Dienstleister hätte das in dieser Zeit und Qualität nie schaffen können. Das waren durch die Pandemie induzierte Ausnahmefälle. Im Großen und Ganzen war kaum ein Innovationsstopp zu merken – aber auch kein Hype. 

Sie sind also Ihrer Wachstumskurve ohne große Ausreißer weiter gefolgt? Welche Projekte waren das?
Von einem großen Kundenportal über die Umstellung einer gesamten Front-End-Applikation bis hin zu Softwareentwicklungsprojekten. Sehr spannende Projekte waren auch das digitale Grab und der Bestattungskonfigurator für die Wiener Friedhöfe. Beratungsprojekte gab es durch den fehlenden persönlichen Kontakt eher weniger. Trotzdem konnte gerade in der Beratung sehr schnell auf das virtuelle Format umgeschwenkt werden. Mit einigen unserer Kunden haben wir virtuelle Halbtags-Workshops realisiert – das war für beide Seiten sehr gut. Also ja, es war eine Umstellung, aber es gab weder einen Einbruch, noch ist etwas abgehoben. Es war ein kontinuierliches Fortschreiben unseres Geschäfts.

Bei adesso gibt es einerseits das Beratungsgeschäft, andererseits die Individualsoftware-Entwicklung und in der Gruppe auch Standardsoftware für bestimmte Bereiche. Das ist ein breites Feld.
Man muss diesen Bogen im eigenen Haus auch bedienen können – das Ganze erfassen, um richtig beraten und richtig umsetzen zu können. Wenn man so breit aufgestellt ist wie wir, muss man als adesso Austria über den ganzen Rucksack, den die Gruppe bietet, so gut Bescheid wissen, dass man die richtigen Leute an den Tisch holen kann. Das macht es für uns so spannend, aber auch herausfordernd. Wir prägen den Begriff „one adesso“: Unsere spezialisierten Schwester-Unternehmen haben alle einen gewissen Fokus. Wir als Landestochter können alles bedienen und mit den richtigen Lösungen auf unsere Kunden zugehen. 

Als adesso positionieren Sie sich gegen die „Digitalisierung von der Stange“ und setzen eher auf einen „Maßanzug“, der zu den Bedürfnissen der Kunden passt. Aber für einen gut geschnittenen Anzug muss man erst genau Maß nehmen. Wie macht adesso das?
Wir haben keinen „One size fits all“-Ansatz. Natürlich haben wir Lösungsansätze, die aber nur einen Rahmen spannen. Um herauszufinden, welcher Weg der richtige ist, kommt uns unsere Dualität von Entwicklung und Beratung sehr zugute. Wir setzen uns mit dem Kunden hin, um zu verstehen, was er braucht. Viele wissen das aber selbst nicht. Deshalb muss man noch einen Schritt zurückgehen und die Ideen erheben. Das machen wir mit einem eigens entwickelten Workshop-Format, dem „Interaction Room“. Zu Coronazeiten gab es den natürlich auch virtuell als „Remote Interaction Room“. Man ist dabei in einem Raum und bringt alle an dem Thema beteiligten und interessierten Stakeholder an einen Tisch. Dann wird mit den Leuten dasselbe Bild im Kopf entwickelt. 
Das ist das Wesentliche. So schafft man es, die Ideen aus den Köpfen herauszuholen und dieselbe, gemeinsame Sicht darauf zu haben. Wenn man das geschafft hat und alle Beteiligten dasselbe Verständnis davon haben, kann man darauf aufsetzen. Soll es in Richtung Disruption gehen, die vielleicht auch das eigene Geschäft von außen torpediert, oder geht es darum, Dinge besser als bisher zu machen? Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, weil die Auswirkungen andere sind. Bei dem einen geht man an die Eingeweide des Unternehmens, seiner Prozesse, das kann alles umstürzen. Wenn man so weit ist, dass man weiß, was man tun will und welche Prozesse das betrifft, kann man sich passende Lösungsszenarien überlegen. Das kann sehr facettenreich sein. Nicht alles muss mit Standardsoftware gemacht werden, genauso muss nicht alles individuell entwickelt werden. Dazu kommen Schlagwort wie zum Beispiel Robotic Process Automation, KI oder Low Code/No Code. Das sind alles Bausteine, die wir in unserem Rucksack haben, und bei denen wir schauen müssen, was wo am besten passt. Erst wenn man das alles weiß, kann man davon reden, eine Lösung zu implementieren. Auf der digitalen Reise passiert sehr viel, bevor man überhaupt bei der Lösungsentwicklung ankommt. 

Man hört oft, dass die Kunden nicht genau wissen, was sie wollen – teilweise auch nicht, ob sie überhaupt etwas wollen. Wieso kommt ein Kunde und setzt sich in einen Interaction Room, wenn er nicht weiß, ob und was er will?
Es gibt Kunden, die wissen, dass sie etwas brauchen, aber sie wissen nicht, wie sie es artikulieren sollen. Die kann ich über diese Methode gut abholen. Das ist ein kleineres Invest und der Kunde ist danach gescheiter als vorher. Auch wenn das Ergebnis ist, dass er keines dieser Projekte umsetzt. Dann weiß er wenigstens, dass er keinen Bedarf daran hat. Der Treiber ist die Idee, etwas machen zu wollen. Andere Kunden muss man davon überzeugen. Das geschieht leichter, wenn bereits ein Vertrauensverhältnis besteht. Wir haben auch Kunden, die unseren Interaction Room so gut finden, dass sie sich schulen lassen und ihn selbst für eigene Projekte verwenden. Manche Kunden kommen auch durch Mundpropaganda zu uns.

 

Jürgen Leitner, adesso
"Auf der digitalen Reise passiert sehr viel, bevor man überhaupt bei der Lösungsentwicklung ankommt."
Jürgen Leitner, adesso Austria (c)RNF

 

Kürzlich hat adesso mitgeteilt, man wolle jetzt „österreichischen Unternehmen Services und Dienstleistungen rund um Mobile Business“ anbieten, zusammen mit der adesso mobile solutions GmbH. Hat adesso in Österreich so etwas vorher nicht schon angeboten?
Natürlich haben wir das schon gemacht und haben auch bereits erfolgreich mobile Applikationen für Kunden geschrieben, sei es für B2B oder auch für B2C. Aber es ist in dem Sinn kein „Steckenpferd“ von uns. Gerade im Bereich der „Wald und Wiesen“-Mobile-Apps matcht man sich oft mit Agenturen. Das ist nicht unser Zugang. Wir wollen die Verlängerung der Kern-Geschäftsprozesse sein. Mobilität, die nahe am Business unserer Kunden und ihren Geschäftsprozessen dran ist bzw. eine ihrer Zielgruppen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens unterstützt. Das können und tun wir auch. Was wir jetzt angehen, ist, das Spezial-Know-how unserer Schwester zu nutzen, um auch damit den Markt zu durchdringen. Ich spreche da von Augmented Reality, Smart Connected Products, aber auch vom Anbinden von Devices, die nicht unbedingt mobil sein müssen, an eine IoT-Cloud. Diese Erfahrungswerte hatten wir in Wien nicht und es gibt auch wenige unter unseren Wettbewerbern, die sie haben. Deswegen wollen wir gemeinsam mit adesso mobile solutions diesen Markt erobern.

Sie haben Smart Connected Products gesagt. Das müssen Sie jetzt auch erklären. Was ist das?
Unter Smart Connected Products verstehen wir Produkte, Dinge in der realen Welt, die ich mit der virtuellen Welt, zum Beispiel mit einer IoT-Cloud, in Verbindung setze, um ein reales Produkt an meine IT zu koppeln und die Daten, die dieses Gerät produziert, sinnvoll weiterzuverarbeiten. Auch hier treten wieder die Daten stark in den Vordergrund. Das wird nicht zum Selbstzweck gemacht, sondern um etwas daraus zu erheben – vielleicht ein neues Geschäftsfeld – oder um Dinge effizienter zu machen. Predictive Maintenance kennt man zum Beispiel von produzierenden Anlagen oder Windrädern, kann aber auch in viel kleineren Geräten angewendet werden. Die Herausforderung von Smart Connected Products ist, dass sie ortsunabhängig sind. Man kommt schnell zu Netzwerk- und Infrastrukturthemen und muss sich überlegen, wie man damit umgeht. Wie saugt man die Daten ab? Verdichtet man sie schon am Gerät? Nutzt man das Smartphone, um die Daten zu verdichten und an die IoT-Cloud zu schicken? Unser Kunde Stihl zum Beispiel nutzt Dongles an seinen Geräten, die Daten ans Smartphone oder eine Box senden, wo sie weiterverarbeitet und in die Cloud geschrieben werden.

Was für Daten sind das und was macht Stihl damit?
Alle möglichen Parameter wie Laufzeiten oder Einschaltungen. Informationen, die interessant sind, wenn es um Dinge wie Lebenszeit, Verschleiß etc. geht. Das macht Sinn im Hinblick auf Wartung, aber auch Nachvollziehbarkeit und das Entwickeln neuer Geschäftsmodelle, etwa ein Pay-per-Use- statt einem Kauf-Modell. Das sind die Anreize solcher smarten Produkte für die Hersteller, sie können andere Geschäftsprozesse andenken. Wenn man es größer denkt: Ich würde auch einen Tesla als Smart Connected Product sehen. Das ist am Ende des Tages auch nichts anderes und auch der Geschäftsprozess ist auf einmal ein ganz anderer. Alle Automobilhersteller fangen an, Elektroautos zu bauen, aber was keiner so recht auf die Reihe bringt, ist, sein Geschäftsmodell zu überdenken. Ein klassischer Autobauer zwingt mich, mit meinem Auto, auch wenn es ein E-Mobil ist, dazu, alle zwei Jahre zum Service zu fahren. Was machen die da? Der Elektromotor ist wartungsarm, sie müssen kein Öl nachfüllen und den Luftfilter kann ich auch selbst wechseln. Sie haben es nicht geschafft, ihr Business umzustellen.

Bestehenden Unternehmen scheint es irrsinnig schwer zu fallen, ins Disruptive zu gehen. Andererseits ist es verständlich: Ich würde mir auch ungern einen Arm abschneiden, damit mir zwei zusätzliche Beine wachsen.
Aber vielleicht kann ich mir überlegen, bevor ich mir den Arm abschneide, was ich machen kann, damit mich das nicht so behindert. Was stimmt ist, dass man mit solchen Smart Connected Products sehr weitreichende Änderungen anstößt. Man rüstet nicht nur irgendein Gerät mit Sensoren aus und verarbeitet diese Daten weiter. Man muss sich überlegen, was das für das eigene Business bedeutet, ob man sich anders aufstellen muss, ob man plötzlich andere Prozesse hat und ob man andere Kompetenzen braucht, wenn man das macht. An allen Ecken und Enden fehlen Spezialisten. Die sind schwieriger von außen beizustellen, denn sie müssen viel Verständnis für die Daten aufbringen und müssen wissen, was da passiert. Sie müssen sinnvolle Aussagen treffen und ins Business zurückführen können. 
Deswegen ist es bei Smart Connected Products auch wichtig, sich im Vorhinein zu überlegen, warum man das tut. Viele gehen schon in diese Richtung und produzieren Geräte mit Sensoren, auch wenn sie vielleicht noch nicht genau wissen, was sie damit tun werden. Ein Windrad produziert zum Beispiel 60.000 Datensätze in der Minute. Die muss man erst einmal von Ort und Stelle wegbewegen können. Das ist im urbanen Raum kein Problem, aber bei einem Offshore-Windpark im Atlantik sieht das anders aus. Da braucht man Konzepte, wie man die Daten verdichtet und was man über die Leitung transportiert. Da sind wir beim Thema Netzinfrastruktur. Wenn man diesen Pfad beschreitet ,verästelt es sich sehr schnell vom Großen ins Kleine und man hat viele Facetten – Geschäftsmodell, Netzwerk, Infra­struktur, wie analysiere ich die Daten und was kommt am Ende dabei heraus.

Den Unternehmen muss also klar sein, dass es mit einem Projekt alleine nicht geschehen ist. Sie müssen sich auf jeden Fall umstellen.
Gerade bei Smart Connected Products ist das sicher etwas, das man strategischer und langfristiger denken muss. Es reicht nicht, seine neue Geräteserie mit Sensoren auszurüsten. Das kann aber ein Anfang sein. So wie bei KI-Projekten: Wenn ich jetzt ein KI-Projekt angehen möchte, hätte ich vor drei Jahren beginnen müssen, Daten zu sammeln. Wenn man jetzt anfängt zu sammeln, hat man Zeit darüber nachzudenken, was man damit machen möchte. Irgendwann muss man starten. Aber damit ist es nicht getan. Man muss viel weiter gehen.

Im November 2018 haben Sie laut einem Video auf YouTube gesagt, dass in den Jahren 2020 bis 2025 KI bereits Einzug in die Unternehmen gehalten haben wird und viele Prozesse schon automatisiert sein ­werden. Wo stehen wir heute, 2021, Ihrer Meinung nach in dieser Hinsicht?
Meine Erwartungen wurden untererfüllt. Man ist zwar schon weit – damals haben wir mit Kunden gesprochen, die noch gar nichts mit dem Thema anfangen konnten. Heute haben sich schon einige damit beschäftigt und schon erste Proofs of Concept gemacht, aber ich vermisse noch, dass der Mehrwert genutzt wird und ins Business einfließt. Wir laufen offene Türen ein, die Kunden sind interessiert. Aber sie sind noch nicht soweit, die Daten-Getriebenheit zu verstehen und daraus abgeleitet neue Geschäftsmodelle anzudenken. Das Interesse ist da, aber wir sind noch nicht so weit, wie ich mir das damals vorgestellt habe. Aber bis 2025 haben wir auch noch ein bisschen Zeit. (RNF)