Revolution auf Schiene

NEW BUSINESS Guides - TRANSPORT- & LOGISTIK GUIDE 2022
Die Digitale Automatische Kupplung soll von 2026 bis 2030 die herkömmliche Schraubenkupplung in Europa schrittweise ablösen. © DB AG/Patrick Kuschfeld

Seit der Kaiserzeit werden Güterwaggons auf die mehr oder weniger gleiche Art verbunden. Die Digitale Automatische Kupplung soll das ­entscheidend ändern ...

... und zugleich als Grundlage für bahnbrechende ­Innovationen dienen.

Die Verlagerung des Warentransports von der Straße auf die Schiene ist entscheidend, um die Klimaziele in Österreich und Europa im Verkehr zu erreichen. Rund 30 Prozent der heimischen CO₂-Emissionen kommen aus dem Verkehr – Tendenz weiter stark steigend. Um die notwendige Verkehrswende im Güterverkehr zu erreichen, muss der Schienengüterverkehr in Europa wettbewerbsfähiger und effizienter werden. 

Digitale Automatische Kupplung als Grundlage für weitere Innovation
Verbesserungspotenzial ist in diesem Bereich durchaus noch vorhanden. So hat sich beispielsweise seit der Kaiserzeit an der Verbindung von Güterwaggons nicht viel geändert. Das soll sich mit der Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) entscheidend ändern. Sie löst die derzeitige ineffiziente Schraubenkupplung ab. Die DAK leitet damit außerdem die Digitalisierung im Schienengüterverkehr ein, da mit ihr eine durchgehende Strom- und Datenversorgung entlang des gesamten Güterzugs ­inte­griert werden kann.

Das ist die Voraussetzung für zukünftige Innovationen im Bereich des intelligenten Güterverkehrs und in weiterer Folge für die automatisierte Betriebs­führung. Derzeit laufen intensive Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, die bis 2025 abgeschlossen sein sollen. Ab 2026 soll die Digitale Automatische Kupplung schrittweise bis 2030 in ganz Europa zum Einsatz kommen.

ÖBB-CEO Andreas Matthä betonte im März bei der erstmaligen Präsentation von DAK-Prototypen am Wiener Hauptbahnhof, bei der auch der ­Vorsitzende der Gewerkschaft vida, Roman Hebenstreit, und der Obmann des Fachverbands der Schienenbahnen, WKO, Thomas Scheiber, anwesend waren, die Bedeutung der DAK: „Die Digitale Automatische Kupplung wird als Gamechanger eine Revolution im europäischen Schienengüterverkehr auslösen. Mit ihr gelingt uns der Sprung ins 21. Jahrhundert, und technologisch katapultiert uns die DAK weltweit auf Platz eins. Sie macht aus einem vormals ‚dummen‘ einen intelligenten digitalisierten Güterzug. Die Automatisierung des Verschubs leistet dabei auch einen erheblichen Beitrag zur Arbeitssicherheit. Darüber hinaus wird die DAK ein Enabler für gänzlich neue automatisierte Abläufe wie etwa Bremstests. Auch Wartung und Instandhaltung können technologisch völlig neu aufgesetzt werden. Die jetzigen Prototypen dienen dazu, betriebliche Erkenntnisse zu sammeln und marktreife Produkte zu entwickeln. Ich freue mich, dass wir diese innovative Technologie als ÖBB gemeinsam mit unseren europäischen Partnern schrittweise bis 2030 in die Realität umsetzen können. Die DAK wird entscheidend dazu beitragen, den Verkehr auf die Schiene zu verlagern und die Klimaziele zu erreichen.“

„Die Digitale Automatische Kupplung ist für Europa eine greifbare Vision geworden“, so Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Gewerkschaft vida, der ergänzt: „Mit demselben Elan braucht es nun konkrete Maßnahmen und deren Finanzierung, um die Bahnbeschäftigten sozial abzusichern und um diese – rechtzeitig – in den Transformationsprozess einzubinden. Das bedeutet, in die technischen Kompetenzen unserer Kolleg:innen zu investieren, damit sie den neuen Anforderungen im Zuge der Digitalisierung auch gerecht werden können.“

Thomas Scheiber, Obmann des Fachverbands Schienenbahnen der WKO, sieht mehr Gütertransport auf der Schiene als einen der zentralen Hebel zur Erreichung der Klimaziele. Scheiber dazu: „Wir werden das Wachstumspotenzial im europaweiten Schienengüterverkehr aber nur dann heben können, wenn wir betriebliche und technische Hürden abbauen. Die Einführung der DAK ist ein längst überfälliger und wichtiger Schritt auf diesem Weg, in der Start-up- und Digitalisierungswelt würde man ‚Gamechanger‘ dazu sagen. Das europaweite Vorzeigeprojekt und der gemeinsame Schulterschluss des Sektors haben die Chance, zu einer Initialzündung zu werden: für weitere Anstrengungen und Rahmenbedingungen, damit der Güterzug gegenüber dem Individualverkehr auf der Straße endlich wettbewerbsfähiger wird.“

DAK löst Schraubenkupplung ab
Derzeit werden Güterwaggons in Europa manuell mittels Schraubenkupplung verbunden. Bei jedem Kupplungsvorgang muss dabei eine über 20 Kilogramm schwere Schraube angehoben und die Luftleitungen miteinander verbunden werden. Bei jedem Wetter muss diese unfallgefährdete Tätigkeit rund 300-mal pro Schicht ausgeführt werden. Derzeit laufen umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf europäischer wie nationaler Ebene, um die ­Serienreife der DAK („Scharfenberg-Design“) zu erlangen. Sie soll von 2026 bis 2030 die herkömmliche Schraubenkupplung in Europa schrittweise ablösen. Betroffen sind dabei rund 450.000 Güterwaggons und 17.000 Triebfahrzeuge.

Das europäische Konsortium DAC4EU (Digital Automatic Coupling for Europe) testet im Rahmen eines vom deutschen Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) beauftragten und finanzierten Forschungsprojekts Digitale Automatische Kupplungen für den Schienengüterverkehr. Das Konsortium besteht aus der DB AG, den Güterbahnen ÖBB Rail Cargo Group, DB Cargo und SBB Cargo sowie den Wagenhaltern Ermewa, GATX Rail Europe und VTG. Das Ziel des DAC4EU-Forschungsprojekts ist es, wesentliche Grundlagen für die Auswahl einer Standard-DAK in der EU auszuarbeiten.

Das Konsortium hat im Juni 2020 seine Arbeit aufgenommen. Nach umfangreichen technischen Tests von Kupplungsprototypen verschiedener Hersteller in Phase I des Projekts zielt Phase II darauf ab, die DAK-Prototypen in einem Demonstratorzug in realen Betriebs­szenarien zu erproben. Nach Erprobungen in Deutschland wurden die DAK-Prototypen von Anfang Februar bis Anfang März 2022 an fünf österreichischen Stationen einem umfangreichen Testprogramm unterzogen.

Als Nächstes wird der Zug in der Schweiz getestet. Weitere europäische Länder sollen folgen. Das deutsche BMDV finanziert das Projekt in der Projektlaufzeit von zweieinhalb Jahren mit rund 13 Millionen Euro. (RNF)

INFO-BOX
European DAC Delivery Programme
Das von Shift2Rail ermöglichte European DAC Delivery Programme (EDDP) widmet sich der erfolgreichen Implementierung der Digitalen Automatischen Kupplung. Das Projekt basiert auf einem offenen Kooperationskonzept und vereint ein breites Spektrum von Einrichtungen. Ziel ist die Bereitstellung einer europäischen DAK-Lösung durch ein integriertes gemeinsames Programm, das auf F&E-Ergebnissen und Pilotprojekten aufbaut und die notwendigen Maßnahmen für eine schnelle, technisch und wirtschaftlich durchführbare europaweite Einführung sicherstellt. 

shift2rail.org/european-dac-delivery-programme/